Es gibt im Hinblick auf alle Beschäftigung mit Symbolik ein fundamentales Problem: Ahnungslosigkeit. Selten ist die Neigung so stark ausgeprägt wie hier, sich vorschnell zu äußern oder irgendwelche Vermutungen als Tatsachen anzunehmen. Eine Ursache dafür ist die Unüberschaubarkeit des Gebiets, ein anderer die Versuchung, aus der Präsenz der Symbole und ihrer Verknüpfung mit bestimmten Inhalten Kurzschlüsse zu ziehen.
Man kann das gemeinte sehr gut an der Dokumentation „Zeichen des Bösen – Runen der SS“ von Silke Potthoff illustrieren, die ZDFinfo am 5. März ausgestrahlt hat. Erschwerend kommt in diesem Fall noch hinzu, daß ganz im Vordergrund der Reportage die volkspädagogische Botschaft stand. Deshalb wurde ausgerechnet Michel Friedman – der von der Materie gar nichts versteht – der größte Redeanteil eingeräumt, es folgten ein Jurist, der sich über den Sinn von Symbolverboten äußerte, und dann ein Marketingmann, der wolkige Bemerkungen über die Wirkung von Propaganda beisteuern durfte. Der „Spezialist“ für die „Corporate Identity“ des Nationalsozialismus, Andreas Koop, ist zwar ohne Zweifel fasziniert von der Materie und ein begabter Designer, besitzt aber keine Kenntnisse aus eigenständiger Beschäftigung mit der Materie, was sich auch an dieser Stelle wieder unangenehm bemerkbar machte. Es blieben als Fachleute im eigentlichen Sinn nur der Nordist Klaus Düwel, der Historiker Ulrich Hunger, der die maßgebliche Monographie über die Runenkunde in der NS-Zeit geschrieben hat, und sein Kollege Peter Longerich, dessen Hauptarbeitsgebiet die Geschichte der SA ist. Longerich konnte immerhin ein paar sachkundige Bemerkungen über den latenten Konflikt zwischen Hitler und Himmler in bezug auf den Charakter der SS als „Kultgemeinschaft“ machen, aber was Düwel und Hunger beisteuerten, ging unter im Gerede der übrigen, den beschwörenden Kommentaren aus dem Off und einer Bilderfolge, die immer weniger mit dem Thema zu tun hatte.
So blieb im Kern die dürre Information, daß die Gestaltung der SS-Runen auf den SS-Obersturmführer Walter Heck zurückging, der seinen Entwurf 1929 ins Reine zeichnete und dafür nach Abtretung sämtlicher Rechte 2.50 RM erhielt, daß Himmler ihm später für die Zeit nach dem Endsieg ein Häuschen mit Garten als Anerkennung versprach, falls es ihm bis dahin gelinge, zu heiraten und mindestens zwei Kinder in die Welt zu setzen. Die Bedeutung der Völkischen und von Himmlers „Rasputin“ Weisthor-Wiligut wurde nur gestreift, stattdessen fanden anachronistische Betrachtungen zur „Schwarzen Sonne“ statt (Frau Potthoff scheint nicht klar zu sein, daß es sich um eine Nachkriegsbezeichnung und eine Art posthumer Aufladung des Emblems auf der Wewelsburg handelt), und man wurde mit Spielszenen unterhalten, die dem Zuschauer ausmalten, daß die dummen Nazis als arisches Symbol ausgerechnet ein „Zeichen mit semitischen Wurzeln“ verwendet haben (alldieweil die Runen nach Frau Potthoff mit hinreichender Gewißheit aus dem phönizischen Alphabet abgeleitet werden können).
Was also fehlt?