Vielfach gilt die „Heraldik“, also die Wappenkunde und Wappenkunst, als europäische Besonderheit. Dafür gibt es Gründe, vor allem, wenn man die Einheit der Gestaltung und der zugrundeliegenden Regeln während des Hochmittelalters in Betracht zieht. Wichtig war für die Heraldik immer die Fixierung eines grundsätzlich einmaligen Wappenbildes und dessen Zuweisung nicht nur an einen einzelnen Träger, sondern an ein ganzes Geschlecht. Damit unterschied sich das Wappen sehr deutlich von der individuellen Schildbemalung früherer Epochen, etwa der griechischen Antike, oder der Fixierung von Emblemen auf den Schilden der römischen Armee, die nach militärischen Verbänden geordnet waren.
Allerdings ist wichtig, daß die Betonung eines europäischen Sonderwegs auf diesem Feld nicht dahingehend übertrieben werden darf, daß die Heraldik ganz voraussetzungslos erscheint, so als ob das Wappenwesen nur in Folge einer technischen Veränderung entstand. Etwa der, daß die Einführung des Topfhelms im 12. Jahrhundert allein ausschlaggebend war, der das Gesicht des Kämpfers verbarg und die anderweitige Kennzeichnung notwendig machte.
In ihrer Grundform gab es systematische Schildbemalung jedenfalls bei vielen ausgesprochen kriegerischen Völkern. Auf sehr hohem Niveau gilt das für die japanischen mon, aber auch für die Zeichensysteme von Stämmen der nordamerikanischen Indianer. Ein besonders interessanter, weil gut dokumentierter Fall ist der der Massai. Über dieses ostafrikanische Volk veröffentlichte Moritz Merker 1910 eine aufschlußreiche Monographie, deren bleibender Wert vor allem darauf beruht, daß der Autor als Kolonialoffizier gedient hatte und das, was er beschrieb, aus eigener Anschauung kannte.
Merker betonte, daß schon zu seiner Zeit unter den Masai ein bedauerlicher „Wirrwarr“ im Hinblick auf die Schildbemalung herrschte. Der war nicht zuletzt auf die Pazifizierungsmaßnahmen der weißen Kolonialherren zurückzuführen, die die Massai an ihren üblichen Raubzügen hinderten und damit die zentrale Bedeutung der Kriegführung in deren Sozialordnung untergruben. Als Folge löste sich die klare Zuordnung der Symbole sehr weitgehend auf, und es traten modische Erwägungen in den Vordergrund. Immerhin meinte Merker das ursprüngliche Konzept in folgender Weise rekonstruieren zu können:
Merker betonte, daß in der Vergangenheit bei dauernden militärischen Erfolgen die Schilde der Massai einheitlich gestaltet waren und man allgemein die „Geschlechterzeichen“ derjenigen Sippen übernahm, die sich am kampfstärksten erwiesen hatten. Man kann darin so etwas wie den Keim jener Entwicklungen sehen, die in Europa unter anderen Umständen zur Ausbildung des Wappenwesens führten. Auch da hatte die Abkehr von einer rein individuellen Gestaltung, die dauernde Festlegung und dann die Übertragung eines Waffenzeichens auf die gesamte Gefolgschaft des Führers ausschlaggebende Bedeutung.